Elsa Peretti: Die wahre Heldin in „Halston“ ist die Muse - WELT (2024)

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Halston, ich habe dir einen Flakon geschenkt, und nun? Was bekomme ich dafür?“, fragt Elsa Peretti in Episode drei der neuen Netflix-Serie über den Aufstieg des exzentrischen Modeschöpfers in den 60er- und 70er-Jahren. Halston verspricht ihr ein Vorstellungsgespräch bei Tiffany. „Das ist alles?“, entgegnet die Muse. Es ist der Moment, in dem Halston realisiert, dass er einen nicht unerheblichen Anteil seiner glitzernden Karriere wohl auch dieser grazilen, hochgewachsenen, stets gelassenen, aber immer zielgerichteten Frau zu verdanken hat. Also versucht er, Peretti mit einem Pelzmantel zu beschwichtigen, Polarfuchs. Und als auch das die Italienerin nicht überzeugt, legt er sein New Yorker Apartment noch obendrauf, inklusive Mietzahlungen. „Va bene“, antwortet Elsa schließlich. „Fine.“

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Sie bekommt letztlich auch den Job als Schmuckdesignerin bei Tiffany. Irgendwann in Episode vier aber reißt ihr ein von Neid und Koks getriebener Halston im „Studio 54“ den Polarfuchs wieder vom Leib. Da ist Elsa Peretti längst ihrer Funktion als Muse entwachsen und hat sich selbst einen Namen gemacht. Halston, so wird sich herausstellen, sollte nur ein frühe Station sein, die die Italienerin in ihrer Laufbahn passierte. Der Designer konnte dank Perettis kleinem Bottle-Anhänger seine erste Kollektionen an Millionärsgattinnen von der Fifth Avenue verkaufen; der von ihr entworfene Flakon seines ersten Parfüms brachte ihm den langersehnten Erfolg. Üblich waren zu der Zeit damals kantige Fläschchen, Peretti aber fertigte einen tropfenförmigen Behälter mit kurzem Stopfen statt einem länglichen Glasstift. Führe eine Frau den Stopfen ein, sei das eine intime Angelegenheit, kritisiert Halstons Investor in der Serie das Design. „Es ist Penetration. Das hier ist keine richtige Penetration.“ Der Flakon wird trotzdem produziert und zum Verkaufsschlager.

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Das Schicksal, dem Schöpferdrang von jemandem mit mindestens genauso viel Potenzial untergeordnet zu sein und schließlich selbst zur Kreativkraft zu werden, teilt Peretti mit anderen Berühmtheiten: Madonna trug auf ihrer „Blonde Ambition“-Tour Jean Paul Gaultiers Kegel-BH und zementierte seinen Ruf als enfant terrible – und ihren als Modenärrin. Naomi Campbell war zwar schon berühmt, als sie die Fantasie von Gianni Versace beflügelte, startete danach aber erst so richtig als Supermodel durch. Ein ähnliches Verhältnis hatten Karl Lagerfeld und Claudia Schiffer. Und auch Valentino und Jackie Kennedy befruchteten sich gegenseitig, bevor Kennedy schließlich zur Modeikone wurde.

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Schon in der ersten Episode von „Halston“ ahnt man, dass Elsa ein mindestens ebenso interessanter Charakter ist wie die Hauptfigur: Als der Strom wegen unbezahlter Rechnungen abgestellt zu werden droht, bleibt sie seelenruhig, während Halston zur Furie mutiert. Aufgewachsen in Florenz und Rom, brach die Tochter eines Ölmagnaten mit 20 Jahren aus ihrem goldenen Käfig aus, wie sie den Palazzo in ihrer Heimat einst bezeichnete. Sie suche die Unabhängigkeit, erklärte sie ihrem Vater damals in einem Brief. Bis sie im März dieses Jahres starb, hat sie in den 81 Jahren ihres Lebens nie damit aufgehört, ihr eigenes Ding zu machen, angetrieben von einer gehörigen Portion Fleiß und dem unbedingten Willen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen.

Für damalige Verhältnisse war Perettis Geschichte ungewöhnlich. In den späten 60er-Jahren mussten Frauen noch um die Kontrolle über ihr Leben, ihre Karriere und ihren Körper kämpfen. Mit der Arbeit als Model finanzierte sie sich das Designstudium, knüpfte einflussreiche Kontakte, die sie nach vorne brachten – und revolutionierte das Schmuckdesign mit einem Gespür für Materialien, Formen und Handwerk, das ihre Entwürfe bis heute zeitlos erscheinen lässt.

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Wer in ihrer Geschichte das Drama sucht, wie es sich häufig in den Biografien männlicher Designerkollegen abspielt, wird kaum fündig. Zwar war auch Peretti eine Zeit lang auf Champagner-, Kaviar- und Kokaindiät, im Gegensatz zu Halston zerstörte sie sich dabei aber nicht selbst, weil sie ihr Ziel immer klar vor Augen hatte: mit ihrer Arbeit genügend Geld zu verdienen, um frei zu sein. „Ich habe um mein Leben gekämpft“, sagte sie einmal. Was man ihr fast nicht glauben mag, wenn man der leichtfüßigen Darstellung von Rebecca Dayan in der Serie folgt. „Wenn man, wie viele italienische Frauen, nicht arbeitet, kann man sich an das Leben eines Mannes anpassen. Aber ich habe bereits mein Leben“, sagte sie 1974 der „Detroit Free Press“, „und ich muss jetzt ein bisschen egoistisch sein, um mich zu retten.“

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Und das ist ihr zeit ihres Lebens auch gelungen. Zum Schlüssel ihres Erfolgs wurde dabei vor allem die schlaue Voraussicht, tragbaren Schmuck für den Alltag zu entwerfen, der bei allen Begehrlichkeiten, die er weckte, trotzdem erschwinglich blieb. Und ihre damals neue Art, Schmuck zu fertigen, dessen metallische Oberfläche sich auf der Haut ungewohnt angenehm und kein bisschen störend anfühlte. Die organischen Formen kamen gut an als Abkehr von den häufig gekünstelten Kreationen, waren dabei aber nie einfach nur basic oder profillos. Im Gegenteil, das Gefährliche, das Unerwartete, das Verbotene faszinierte Peretti stets. Monatelang trug sie ein Stück Klapperschlange in ihrer Tasche, bis es sie schließlich zu ihrer Gelenkschlangenkette inspirierte.

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Das diffuse Nachmittagslicht Indiens verleitete Peretti zu ihrer berühmten Mesh-Kollektion: Gold oder Silber, kunstvoll verwoben zu einem Stoff, drapiert wie Seide, den Bewegungen und Konturen des Körpers folgend. Von den unendlichen Möglichkeiten des Stoffes verzaubert, entwarf sie auch einen Mesh-BH, der damals für Kontroversen sorgte, was sie nur noch mehr entzückte. Das wohl bedeutendste Stück Perettis aber ist bis heute ein Armreif in Form eines Knochens, der sich, obwohl martialisch anmutend, in gewohnt fließender Formsprache an seine Trägerin schmiegt. Es sollte zum Symbol ihrer Rebellion werden, die bei ihr freilich hochelegant aussah.

Der Befreiungsschlag gelingt einer Muse nicht immer. Und wenn er ihr gelingt, richtet sich das Scheinwerferlicht meist trotzdem auf den schillernderen Charakter. In „Halston“ schwenkt die Kamera nach Szenen, in denen ihr Einfluss mal wieder deutlich wird, manchmal auf Elsa. Dann lächelt sie, zaghaft, aber gewiss, dass sie ihrem Ziel gerade wieder ein Stück näher gekommen ist.

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